Dass er atemberaubend schnell und virtuos spielen kann und das in allen möglichen Stilen, braucht der schwedische Gitarrist Ulf Wakenius niemandem mehr zu beweisen. Die Liste derer, mit denen er gearbeitet hat, liest sich wie ein Jazzlexikon, von Niels-Henning Ørsted Pedersen und Randy Brecker bis zu Herbie Hancock, Steve Coleman oder Milt Jackson. In den vergangenen zehn Jahren war er außerdem der „vierte Mann“ des Oscar Peterson Quartetts.
Wakenius’ Spiel blieb fast immer melodisch geprägt, war er doch in seiner Jugend vor allem von Blues- und Rock’n’Roll-Gitarristen beeinflusst: Eric Clapton, Jack Bruce oder Johnny Winter hießen seine Helden. Bis er John McLaughlin und das Mahavishnu Orchestra hörte: „Diese Gitarre, die an Coltranes Saxophonlinien erinnerte, total rhapsodisch. Wahnsinn!“ So kam er zum Jazz. Und tanzte fortan auf vielen Hochzeiten, als gefragter Studiomusiker ebenso wie mit brasilianischen Projekten oder Funk-Alben.
Vor zweieinhalb Jahren dann ging Wakenius auf besondere Weise zurück zu seinen Wurzeln – mit einem „Kreuzzug für Melodien“, wie er es scherzhaft nannte: Für sein ACT-Debüt Notes From The Heart (ACT 9435-2) interpretierte er Keith Jarrett. Mit einer Finesse und Reduktion - so beschränkte er sich auf Triobesetzung und benutzte ausschließlich akustische Gitarre -, die ihm viele nicht zugetraut hatten, gelang Wakenius nicht nur ein genialer Transfer von Klaviermusik auf Gitarre, er erfand auch seinen eigenen Stil neu.
Man kommt unweigerlich auf diese Jarrett-Einspielungen zurück, wenn man Wakenius’ neues Projekt Love Is Real betrachtet. Wieder bilden Bassist Lars Danielsson und Drummer Morten Lund das Gerüst der Rhythmusgruppe, dieses Mal ergänzt durch Lars Jansson am Klavier; wieder widmet sich Wakenius einem Pianisten; und wieder ist es ein Melodiker ganz eigener Prägung: sein Landsmann Esbjörn Svensson.
Und doch hat Wakenius diesmal eine völlig andere Interpretationsmethode gewählt als bei Jarrett: Diesmal verdichtet er nicht, er fächert Svenssons kompakten Sound nach allen Regeln der Kunst auf. Das beginnt damit, dass Wakenius diesmal verschiedene Gitarren einsetzt. Neben der altbewährten akustischen Godin mit Nylonsaiten kommen auch Steel Guitar und E-Gitarre zum Zug. Wie genau Wakenius damit die jeweilige Charakteristik der Stücke herausschält, dafür ist der Titeltrack „Love Is Real“ das beste Beispiel. Radikal schlanke Gitarrenlinien, ein Schlagzeug, das nur leicht mit den Besen gespielt wird: eine auf Country und Folk verweisende Studie musikalischer Ökonomie.
Kleiner Exkurs: Es ist dies bereits die sechste auf ACT-Alben erschienene und erneut staunenswerte Version von Svenssons „Believe, Beleft, Below“: Josh Haden, Viktoria Tolstoy, Ida Sand wie auch Heinz Sauer und Michael Wollny wagten sich schon an diese tief ins Herz treffende Ballade, die in ihren Vokalfassungen als „Love Is Real“ bekannt ist.
Die enormen Ausdrucksmöglichkeiten der diversen Gitarrensaiten reichten Wakenius aber immer noch nicht aus: Klassische Streichinstrumente kontrastieren und erweitern auf fünf Titeln die Melodie führende Gitarre, dies allerdings auf alles andere als klassische Weise. Dafür bürgt schon der Name: Das radio.string.quartet.vienna gehört mit seinem auf dem umjubelten ACT Debütalbum kultivierten völlig neuartigen Quartettklang zu den Shooting Stars 2007. Auf Love Is Real liefern sie einen spannenden Kontrast zu Wakenius’ sparsamen Linien. Mal machen sie mit rhythmischer Schärfe aus „Dodge the Dodo“ eine Uptempo-Nummer, mal fangen bei „Tuesday Wonderland“ scharfe, raue und schräge Bögen Svenssons irrlichternde, düstere Seite ein. Ein Arrangement für die Streicher steuerte übrigens Svensson selbst bei.
Die letzte Komplementärfarbe dieses wie aus einem Prisma sich ergießenden Klangfarbenregens kommt von Blechbläsern – und was für welchen: Paolo Fresu schenkt „Viaticum“ einen seiner typischen mediterran-melancholischen Trompetenläufe. Sein Kollege Till Brönner verwandelt das bis dahin traurig-ruppige „Seven Days Of Falling“ mit einem überraschenden Schluss-Solo und gewohnter Coolness fast schon in eine Miles-Davis-Nummer. Nils Landgrens Posaune schließlich verleiht dem bei Wakenius ohnehin reichlich federnden „Good Morning Susie Soho“ einen finalen Schuss Funk.